Die Strategien der Verfügung aufdecken

Christine Braun arbeitet gegen die Kunst an

Auf die freudige Entdeckung folgt Ernüchterung. Zunächst: Baisers, appetitlich und hübsch geformt. Zuckerküsse sind positiv konnotiert, französische Patisserien kommen einem in den Sinn, liebevoll dekorierte Köstlichkeiten in altmodischen Vitrinen. Aber Baisers im Kunstkontext? Ein süßes Düftchen zieht sich durch die Ausstellungsräume, in denen Christine Braun Erdbeerschäumchen gleichmäßig auf dem Boden arrangiert hat. Es ist eine Art essbares Mandala, ein dekorativer Bodenbelag mit präzisen Kreisausschnitten.
Doch Christine Braun meint es nicht gut mit ihrem Publikum. Ihre ortspezifische Installation „sbröselt“ (2016) stiftet zum Vandalismus an. Die begehbare Bodenskulptur kann nur besichtigen, wer sie zerstört. Betreten nicht verboten, sondern geboten – und bei jedem Schritt knirscht es unter den Füßen. Sukzessive zerbröseln die Erdbeerschäumchen und scheiden in zuckrigem Staub dahin.
Mit leichter Hand konterkariert Christine Braun den Kunstbegriff. Während Museum und Kunstmarkt nach dem Erhalt von Werten trachten und Kunst für die Ewigkeit zu konservieren versuchen, trotzt die Künstlerin mit kessem Augenzwinkern jeder Vorstellung von Wert und Aura. Bei ihrer „Kuchenskulptur“ (2015) etwa setzt sie explizit „Sachertorte mit Mohnglasur“ ein, die allerdings zu einem unappetitlichen Gebilde mutiert ist, das eher an Fäkalien als an kulinarisches Glück erinnert.
Auf den ersten Blick bestechen Christine Brauns Objekte, Skulpturen und Installationen durch ihren hohen ästhetischen Anspruch. Die oft labilen, zarten, zerbrechlichen Materialien werden mit größter Sorgfalt eingesetzt, die Installationen folgen häufig einer klaren Systematik, Raster, Kreise, Quadrate sind zentrale Ordnungsprinzipien. Hinter dieser elegant gestalteten Oberfläche aber verbirgt sich eine aggressive Energie und Zerstörungslust, die sich gegen die Kunstgeschichte richten kann, gegen Gesten der Macht oder auch gegen die dämonische Verführungskraft der Lebensmittelindustrie. In Christine Brauns Arbeiten brodelt destruktive Kraft, die die Künstlerin allerdings geschickt und elegant durch Witz und Frechheit zu kaschieren versteht.
Harmlos und fröhlich verspielt kommen zum Beispiel die Butterskulpturen (2009) daher, bei denen die Butter sich kunstvoll auf Pumpernickelscheiben oder Brotwürfeln aufbäumt. Es sind Skulpturen im klassischen Sinne, die doch sichtbar machen, wie stark der Kunstbegriff noch immer über die Materialität definiert ist. Selbst wenn Künstler wie Dieter Roth bereits mit vergänglichen Materialien gegen die normierende Kraft des Kunstmarktes rebellierten - Brot und Butter gelten nach wie vor nicht als kunstwürdig. Indem die Produkte und Rohstoffe, die hier zum Einsatz kommen, unübersehbar ihre Herkunft verraten, lassen sich die Arbeiten nicht als reine Form, als künstlerisches Artefakt sehen, sondern bleibt der profane Kontext des Materials stets präsent. Brot ist Brot, Butter bleibt Butter.
So arbeitet Christine Braun im Grunde gegen die Kunst an. Ob sie dutzende Sandtürmchen im Ausstellungsraum errichtet oder Salzstangen quasi senkrecht aus den Bodenfliesen wachsen lässt, sie zwingt damit die Besucher, die Kunst mit Füßen zu treten. Nicht die strahlend weißen Wände des White Cubes stehen im Fokus, sondern der schmutzige Fußboden. Nicht nur der Kopf, auch der Körper ist gefordert beim Versuch, den Schaden bei der Begehung möglichst zu begrenzen. Eine lehrreiche Kapitulationserklärung: die Vorstellung einer aus der Zeit gehobenen, unvergänglichen, ewigen Kunst wird hier als Schimäre entlarvt.
Die Anti-Kunst von Christine Braun verrät zugleich eine fundierte Kenntnis der Kunstgeschichte, die immer wieder ironisch thematisiert wird. „Tagesskulpturen“ (2010-2013) nennen sich en passant dahin geworfenen Objekte, die Kommentare auf unterschiedlichste künstlerische Positionen formulieren. Zwei sich zärtlich aneinander lehnende Küchenbrettchen in Blau und Pink persiflieren die Konkrete Kunst, eine zerknautschte Gold-Silber-Folie erinnert dagegen an die Materialirritationen eines Jeff Koons. Der Protestruf „NEIN!“ hat wiederum die Konzeptkunst im Hinterkopf. Und wenn Christine Braun eine Decke scheinbar beiläufig über den Sockel wirft, schlägt sie den großen Bogen zu den Faltenwürfen der Gotik.
Dabei geht es auch immer wieder um Repräsentation. Der Sockel fungiert als eine Art Display, und die Künstlerin reflektiert den Vorgang des Aus- und Darstellens, in den der Betrachter zwangsläufig involviert ist. Christine Braun legt die Strategien der Kunst offen und entlarvt deren Verführungskünste. Für ihre Skulptur „Reiterstandbild“ hat sie Holz-, Metall- und Betonelemente, kuriose Alltagsobjekte und schnödes Verpackungsmaterial zu einem fragilen Gebilde aufgeschichtet, das nicht mehr von der Solidität eines klassischen Kriegs- oder Herrschermonument besitzt, sondern deren Machtanspruch als lächerliche Inszenierung entlarvt. Es sind vor allem die Materialien, die Christine Brauns radikale Zeitgenossenschaft verraten. Bei allem Wissen um die Tradition, bei allen Anspielungen ist sie ganz und gar in der Gegenwart zu Hause und bekennt sich unübersehbar zu einer Künstlergeneration, die sich nicht mehr um die Werthaltigkeit eines Materials schert. Christine Braun genügt es auch nicht, den Kunstbegriff ironisch abzuklopfen, sondern sie nimmt zugleich die gegenwärtige Gesellschaft kritisch ins Visier. Ohne forciert pädagogisch zu wirken, richten ihre Arbeiten den Fokus immer wieder auf den heutigen Umgang mit Ressourcen und speziell mit Lebensmitteln. Zart und poetisch schön sind die transparenten Zuckerrüben der Bodenarbeit „Süße“ (2014). Doch diese verletzlichen Objekte gemahnen auch an die tückische Verführungskraft der Süße. Zwischen den durchscheinenden organischen Gebilden und den kalten, abgezirkelten Aluplatten, die auf Zuckerrübenstücken aufliegen, entsteht eine extreme Spannung, die einen kaum zu ertragenden Widerspruch formuliert. Eine Metapher für die kompromisslose Lebensmittelindustrie, die ihre Kundschaft so raffiniert und rücksichtslos zu manipulieren versteht.
So, wie die Konsumgesellschaft ihre Kundschaft verführt, so verführt auch Christine Braun ihr Publikum, um ihm eine wichtige Lektion zu erteilen: Ob Baiser oder Kunst – gerade das, was schmeichelnd, harmlos, ansprechend daher kommen mag, sollte man keinesfalls unterschätzen.

ADRIENNE BRAUN