und wieder


Immer wieder, ob wir der Liebe Landschaft auch kennen und den kleinen Kirchhof mit seinen klagenden Namen und die furchtbar verschweigende Schlucht, in welcher die andern enden: immer wieder gehn wir zu zweien hinaus unter die alten Bäume, lagern uns immer wieder zwischen die Blumen, gegenüber dem Himmel.Rainer Maria Rilke

Christine Braun konfrontiert uns ausgerechnet mit Produkten der Wegwerfgesellschaft und mit der scheinbar ›ewigen Wiederkehr des Immergleichen‹, um das Besondere, ja wohl auch die Schönheit des Lebens darzustellen – wenn auch über die Ecke gedacht: Nicht ohne Ironie macht sie uns darauf aufmerksam, wie achtlos wir den Banalitäten des Alltags begegnen, die uns entweder allzu bekannt, minderwertig oder schlicht uninteressant sind. Zugleich zeigt sie genau diese in einer ungeahnten Würde, inneren Größe und dejavu-artiger Stetigkeit.

Der Titel der Ausstellung im Böblinger Kunstverein lautet »wieder und wieder – und«. Dass dabei das zweite »und« am Ende das Schlüsselwort ist, wird nicht nur am sinnfälligen Gedankenstrich deutlich, sondern unmissverständlich auch an der gleichnamigen Arbeit aus Isomalt, die das »wieder und wieder« als Gestaltknäuel unkenntlich gemacht hat, um das wiederholte »und« genüsslich zu inszenieren. »und« ist das, was dazu kommt, ist das, was wir nicht erwarten, ist das, was übrig bleibt: Kunst? Die Arbeiten Christine Brauns haben eine versteckte Melancholie, die aus der Vergänglichkeit des Seins, dem Scheitern unseres Tuns und nicht zuletzt der Vergeblichkeit der Kunst hervorgeht. Denn alles ist von kurzer Dauer, außer der Kunst, doch die hat heutzutage ihre liebe Not, überhaupt (an)erkannt zu werden. Das ist das Thema: aus dem Vergänglichen, dem Übersehenwerden neue Kraft zu schöpfen. Samuel Beckett: »Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.«

»letzte Ehre« erweist die Künstlerin den Alltagsgegenständen unseres Lebens, die wir nie wirklich würdigen: Ausgerechnet mit Hilfe von deren Verpackungen – Plastikschalen in Pralinenschachteln, Plastikumhüllungen für Zahnbürsten usw. – gießt sie aus rosa (Achtung: kitschverdächtig!) Pulver Formen, die den genutzten, gegessenen, weggeworfenen Dingen ein kleines Monument setzt, nicht minder anfällig als die Originale. Als Kunstwerke können sie zumindest erinnert werden, so fragil sie auch immer sein mögen. Wie aufgebahrt treiben diese Relikte unserer Gesellschaft auf dem Boden der Galerie einer unsicheren Zukunft entgegen. Treibgut des Lebens. Ein Wink: End Plastic Soup Now. Oder nehmen wir die »Beutestücke« - unter der Ahnschaft der Arte Povera zelebriert sie das, was schneller im Müll landet, als wir es je schätzen könnten, als Raritätenschatz: In einem schon recht mitgenommenen Versandkarton aus Pappe reihen sich zerknüllte Glanzpapierchen, in denen sich einst Leckereien befanden, auf gesägten Holzscheiben aneinander. Christine Braun thematisiert nicht nur die Überflussgesellschaft, die sich selbst mehr und mehr (wieder und wieder) zumüllt, indem sie das, was ab-fällt, als Kunst wiederverwertet. Sie will uns auch für die Schönheit im Kleinen gewinnen.

... und die Schönheit im Großen. In Papierarbeiten erschafft die Künstlerin reliefierte Notenblätter, die ein wenig an die Blindenschrift oder an geheime Codes erinnern, doch Fragmenten von Musikstücken nachempfunden sind: Johann Sebastian Bach, Sergej Rachmaninoff, Jonas Braun. Was wie hingeworfen erscheint, ist nicht zufällig gewählt – ein Präludium von Bach, sein »Wohltemperiertes Klavier«, Brauns »Evolutionssonate«, nicht zu hören, aber optisch zu be-greifen. »Hingabe« ist das Zauberwort, das Christine Braun für ihre Kunst reklamiert, das sie vom Betrachter einfordert. So heißt auch ihr Kurzvideo, in dem eine venezianische Lampe, im Wasser sich spiegelnd, im Dauerloop festhält, was das Leben lebenswert macht: seine kleinen Dinge als Stückwerk ›einer großen Konfession‹ zu sehen.

Günter Baumann, Oktober 2019