Kreisel im Kreisel

Richtet der Kreisel sich auf oder wird er fallen? Es ist ein für Kinder wie für Erwachsene immer wieder faszinierender Moment, den Christine Braun hier an einem ungewöhnlichen Ort und in ungewohnten Größendimensionen festhält. Vorgesehen für die Mittelinsel eines neu angelegten Kreisverkehrs zeigt sich dieser „Kreisel im Kreisel“ denn auch als ein beziehungsreiches tautologisch geprägtes Spiel. Die vier Meter hohe und weithin sichtbare magentafarbene Nachbildung dieses traditionellen Kinderspielzeugs steht hier sowohl für sich als auch für die Funktion und die spezifische Aufgabe, die der Aufstellungsort mit sich bringt.

Dieser Kreisel „schläft“ nicht, rotiert nicht aufrecht um die eigene Achse. Merklich neigt er sich aus der Vertikalen, er präzidiert und nutiert. So zumindest bezeichnet die Physik die Phase, wenn die Rotation durch den Luftwiderstand und die Reibung an der Spitze nachlässt. Auch die Fahrzeuge, die in einen Kreisverkehr hinein geschleust werden, drosseln zunächst ihr Tempo, um dann je nach Wahl der Richtung wieder sukzessive zu beschleunigen.

Entgegen ausbremsenden Ampelanlagen erfordern Kreisverkehre eine spezifisch erhöhte Form der Konzentration, die dazu beiträgt den Verkehr in maßvollem Fluss zu halten und Gefahrensituationen entschärft. Im „Kreisel im Kreisel“ erscheinen gerade diese Aspekte, das vorübergehende Innehalten, die Konzentriertheit im Fluss des Tuns, die Momente der Ruhe in der Bewegung, von besonderer Bedeutung. Die hier gewählte kritische Phase der Rotation, des „noch nicht“ oder „schon nicht mehr“ sucht jene Bewegtheit und Beschleunigung sichtbar zu machen, die im aufrechten Rotieren eigentlich nicht sichtbar ist. Denn je schneller ein Kreisel sich dreht, desto ruhiger wirkt er. Statik und Dynamik, Ruhe und Bewegung fallen in eins.

Der Philosoph in Franz Kafkas Erzählung „Der Kreisel“ richtet sein gesamtes Denken auf die Bewegung eines solchen Kinderspielzeugs und stellt am Ende ernüchternd fest, dass der Kreisel - mithin der Mensch - ausweglos gefangen ist im rasenden Stillstand der Ereignisse.

Eine Erkenntnis, die auch in der künstlerischen Arbeit von Christine Braun durchaus mitschwingt. Aber im kraftvoll dynamischen Gesamteindruck scheint eine derart pessimistische Sicht auf die Welt doch eher fehl am Platz. Dieser „Kreisel im Kreisel“ setzt in monumentaler Gestalt und energetischer Farbkraft ausgesprochen positive Signale und zeigt sich damit als aussagekräftiger wie einprägsamer Blickfang.


Dr. Rita E. Täuber, Stuttgart