Verwandlungen gegen die Kunst – und alle spielen mit

In der Kunst ist es manchmal nicht anders als im wirklichen Leben: Man kommt in Situationen, in denen man sich verdutzt die Augen reibt und nicht so recht weiß, wie man nun reagieren soll. Wer den Raum im Museum Ettlingen betreten will, wo Christine Braun ihre vielteilige, eigens für die Preisträgerausstellung der Werner-Pokorny-Stiftung entwickelte Installation „Tutti“ aufgebaut hat, bleibt erst einmal überrascht und staunend stehen. Die gesamte Bodenfläche ist besetzt von kleinen schwarzen Sockeln aus Recyclingkunststoff, auf denen ebenso kleine Objekte thronen – wohin das Auge auch reicht. Dicht an dicht stehen sie da und treten trotz ihrer kaum überschaubaren Fülle als eine in sich geschlossene Gruppe in Erscheinung, die der Betrachter aufgrund ihrer geringen Höhe und seines weit darüber liegenden Blickpunkts aus der Vogelperspektive wahrnimmt.

250 Skulptürchen haben sich auf der mehr als sechzig Quadratmeter großen Fläche versammelt. Der Abstand zwischen den einzelnen Elementen beträgt nicht mehr als als fünfzig Zentimeter – viel weniger als üblicherweise für die Präsentation von Kunstwerken in einem Museum zulässig ist. Damit gibt die Künstlerin die Spielregeln im Umgang mit ihrer Bodeninstallation vor. Der Betrachter hat zwar durchaus verschiedene Möglichkeiten sich durch den Raum zu bewegen, aber normales Laufen und Flanieren verbieten sich von selbst. Ratsam sind hingegen kleine, wohlüberlegte Schritte und vorausschauendes Ausweichen, auch das Darübersteigen bietet sich an.

Schnell wird deutlich, dass die klassischen Funktionen des Sockels als Instrument zur tatsächlichen und symbolischen Erhöhung eines Gegenstandes und als viel genutztes Utensil der Ausstellungsinszenierungen hier ironisiert und gewissermaßen ad absurdum geführt werden. Nicht nur durch die miniaturhafte Größe der Objekte, auch durch die Wahl der Dinge, die auf‘s Postament gesetzt und somit eigentlich in den Rang eines Kunstwerks erhoben werden, erteilt die Künstlerin den gängigen Erwartungshaltungen und dem tradierten Kunstbegriff eine ebenso humorvolle wie entschiedene Absage. Durchweg handelt es sich bei den aufgesockelten Gegenständen um Objets trouvés und um banale bzw. kuriose, durch subtile Eingriffe veränderte Alltagsprodukte, deren profane Herkunft nicht versteckt wird. Und doch erfahren alle diese Fundstücke eine frappierende Verwandlung, werden mit leichter Hand, zugleich mit bewundernswerter Raffinesse und Präzision zu anspielungsreichen Zitaten aus der Kunstgeschichte umfunktioniert.

Unbekümmert, geradezu genüsslich zitiert Christine Braun die Ismen der Moderne und nimmt Anleihen bei den großen Meistern der Bildhauerei – vom Konstruktivismus bis zur kinetischen Kunst, vom Surrealismus bis zur Minimal Art. Auch ein etwas vergammelter Weihnachtsmann aus Schokolade oder ein aus Legobausteinen zusammengesetztes Reiterstandbild – in früheren Zeiten der ranghöchste, Feldherren und Monarchen vorbehaltene Denkmalstypus – gehören zum nahezu unausschöpflichen Fundus der aus lauter Solitären bestehenden Installation. Ihr Titel „Tutti“ ist aus der Musik entlehnt, als Spielanweisung in einer Partitur bedeutet er soviel wie „das gesamte Orchester“. Und in der Tat: Alle spielen mit und formieren sich zu einem gleichsam doppelbödigen Ensemble, das einerseits ohne Zweifel in den Bereich der Kunst gehört und diese andererseits mit einem Augenzwinkern in Frage stellt.

Ursula Merkel